Saison 2013/2014: Konzert 1

Sonntag, 29. September 2013 17 Uhr WDR-Funkhaus

Mozarts in Köln

Vokal- und Instrumentalmusik von Carl Heinrich Graun, Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart Valer Barna-Sabadus – Countertenor L'arte del mondo. Ltg. Werner Ehrhardt Valer Barna-Sabadus Sendung auf WDR 3 am 18. Oktober 2013

Vor 250 Jahren, im Sommer 1763, brach der Salzburger Konzertmeister Leopold Mozart mit seiner Frau und den musikalischen Wunderkindern Nannerl und Wolfgang Amadeus zu einer mehrjährigen Europatournee auf. Das nimmt die Deutsche Mozart-Gesellschaft zum Anlass einer Konzert-Stafette über den deutschen Teil der Wegstrecke Richtung London, von Wasserburg nach Aachen. In diesem Rahmen präsentiert das Orchester L'arte del mondo unter Werner Ehrhardt gemeinsam mit dem fulminanten Countertenor Valer Barna-Sabadus in Köln Musik dieser Zeit – auf den Tag genau 250 Jahre, nachdem die Mozarts in der Domstadt ankamen.

Programmfolge

Leopold Mozart (1719-1787) Sinfonie D-Dur D 25 (Salzburg vor 1772) Allegro – Andante non poco – Presto Carl Heinrich Graun (1703/1704-1759) Arie des Timantes »Misero pargoletto« aus der Oper Demofoonte (Berlin 1746) Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Arie des Ramiro »Se l'augellin sen fugge« aus der Oper La finta giardiniera (München 1775) Gavotte aus der Ballettmusik KV 367 zur Oper Idomeneo (München 1781) Arie des Sesto »Deh per questo istante solo« aus Oper La clemenza di Tito (Prag 1791) Pause Carl Heinrich Graun Arie des Arbace »Fra cento affanni« aus der Oper Artaserse (Berlin 1743) Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550 (Wien 1788) Molto Allegro – Andante – Menuetto: Allegretto – Allegro assai

Prägende Jahre

Am Abend des 28. September 1763, einem Mittwoch, entstiegen in Köln der Salzburger Vizekapellmeister Leopold Mozart, seine Frau Anna Maria und die beiden Kinder der aus Brühl eingetroffenen Postkutsche. Ein gutes Vierteljahr zuvor waren sie in Salzburg aufgebrochen; Paris und London waren ihre Ziele, aber sie hatten sich Zeit genommen: Dem seit der Veröffentlichung seiner Gründlichen Violinschule von 1756 in Fachkreisen weithin bekannten Leopold Mozart ging es darum, der Welt die musikalischen Talente seiner zwölfjährigen Tochter Maria Anna und seines siebenjährigen Sohnes Wolfgang Amadeus zu präsentieren. Besonders auf den kleinen Kerl am Clavier sprachen die Zuhörer aus Adel und Bürgertum an; in Städten wie München, Augsburg, Ulm, Stuttgart und Mannheim hatte man entsprechend ausgiebige Pausen eingelegt, weil sich einträgliche Chancen zu teils öffentlichen, teils privaten Konzertauftritten boten, in denen Wolfgang mit Kabinettstückchen auf der Geige und mit Tasten-Phantasien beeindruckte.

Wo sich keine Auftrittsgelegenheiten ergaben, führte der von den Ideen der Aufklärung geleitete Vater die Seinen wenigstens zu den örtlichen Sehenswürdigkeiten. So auch in Köln, »der alten, nicht sehr bewohnten traurigen und erstaunlich großen Stadt«, wie er es in einem Brief an den Salzburger Freund Johann Lorenz Hagenauer formuliert. Natürlich besucht man den Dom, der seit dem Baustopp von 1550 mit vollendetem Chor, aber sonst eher unfertig dasteht. Da ist im Brief von wenigen, roh gezimmerten Kirchenbänken die Rede »wie bei uns auf den Straßen bei einer Feldkapelle. In einem Winkel liegen Strohsessel auf einem Haufen beisammen, die man den Leuten für Geld bringt. Mitten in der Kirche steht eine abscheuliche, nussbaumbraun angestrichene uralte Kanzel, die auf vier Füßen stehet, deren einer ein wenig abgebrochen, folglich, weil er zu kurz, mit einem Ziegelstein unterlegt ist …« Die Besichtigung des Domschatzes findet da mehr Anklang; doch auch hier haben die Mozarts Grund, sich »über viele Sachen ein wenig zu ärgern. Der Custos … kam betrunken aus der Vesper, uns den Schatz zu zeigen etc., und das heißt man: auf gut Cöllnisch gelebt.« Wären die Mozarts fünf Jahre später nach Köln gekommen, hätten sie auf dem Neumarkt das erste feste Komödienhaus der Stadt in Augenschein nehmen können. So notiert Leopold Mozart immerhin die Anwesenheit der »ersten renommierten Tänzerin Asselin« und des sie begleitenden englischen Geigenensembles. Fünfzehn Jahre später wird Mademoiselle in Paris im Ballett Les petits riens zu Wolfgangs Musik tanzen.

Nach einem Tag Aufenthalt nahmen die Mozarts am 30. September die Post nach Aachen, wo sie die musikbegeisterte Prinzessin Anna Amalie von Preußen, die Schwester Friedrichs II., beim Kuren antrafen. »Wenn die Küsse, so sie meinen Kindern, sonderheitlich dem Meister Wolfgang gegeben, lauter neue Louis d'or wären, so wären wir glücklich genug; allein weder der Wirt noch die Postmeister lassen sich mit Küssen abfertigen. Das lächerlichste war mir, dass sie mich durch alles hat bereden wollen, nicht nach Paris, sondern nach Berlin zu gehen ...« Von den preußischen Avancen unbeeindruckt reiste die Familie weiter in die französische Hauptstadt, wo den vielen Gast-Auftritten während mehrerer Monate ein ebenso großer und gebührend publizistisch begleiteter Erfolg beschieden war wie danach in London – dort blieben die Mozarts mehr als ein Jahr.

Wenn L'arte del mondo und Valer Sabadus jetzt an den Besuch in Köln erinnern, stellen sie Werke des Mozart-Sohnes vor, die Jahre später entstanden sind. Denn vom konzertierenden Wunderkind, das 1764 in Paris schon mit zwei Claviersonaten samt begleitender Violinstimme als ersten Druckveröffentlichungen in Erscheinung trat, bis zum souveränen Komponisten, der für ein größeres Ensemble zu disponieren verstand, brauchte auch ein Musikgenie wie Wolfgang Amadé einige Jahre der Entwicklung. Das heutige Programm zeigt ihn daher als schon erfahrenen Arien- und Ballettkomponisten für die Münchner Hofoper (mit einer munteren Arie für den Kastraten Tommaso Consoli aus La finta giardiniera zum Karneval 1775 und einem Auszug aus dem sechs Jahre jüngeren Ballett zu Idomeneo) sowie mit einem Kummer und Verzweiflung ausdrückenden vokalen Rondo aus der Prager Krönungsoper La clemenza di Tito, die er in seinem Sterbejahr für den Kastraten Domenico Bedini schrieb.

Mozarts Opernstil spiegelt sich dabei in den umgebenden Arien des mehr als 50 Jahre älteren preußischen Kapellmeisters Carl Heinrich Graun. Seit Kindertagen ein begnadeter Sänger, bestimmte er die Berliner Opernmusik für Friedrich II. mit seinen melodiebetonten, zu besonderer emotionaler Wirkung fähigen Werken. Mit ihm brach nach Einschätzung seines Zeitgenossen Johann Adolph Scheibe »ein neuer Periodus in der Musik« an – davon zeugt auch das noch über Jahrzehnte im deutschen Sprachraum weitverbreitete Passionsoratorium Der Tod Jesu, das er 1755 für Anna Amalie komponierte. In Grauns Oper Artaserse debütierten im Dezember 1743 die beiden frisch engagierten italienischen Kastraten Felice Salimbeni und Antonio Uberti alias Porporino in Berlin, und ebenso waren sie drei Jahre später in Demofoonte zu hören. Diese Oper setzte der König auch 1774 noch mit geringen Veränderungen auf den Spielplan; inzwischen sang neben Porporino der Kastrat Giovanni Carlo Concialini in der Rolle des Timante. Nur wenige Monate später saß Mozart an seiner Finta giardiniera!

Die Opernmusik umrahmen heute Abend zwei Mozart-Sinfonien: eine überwiegend heitere dreisätzige Salzburger D-Dur-Komposition des Vaters und jenes bekannte und doch immer wieder neu zu entdeckende Wiener Großwerk des Sohnes: die Sinfonie in g-Moll, die er 25 Jahre nach der großen Europareise als freiberuflich tätiger Musiker in Wien komponierte. In ihrer melancholischen Eleganz ist diese Sinfonie zu einem wunderbaren Sinnbild seiner Orchestersprache, wenn nicht seiner Musik überhaupt geworden.

behe

Mitwirkende

Valer Barna-Sabadus – Countertenor
L'arte del mondo Ltg. Werner Ehrhardt Im heutigen Konzert spielt L'arte del mondo in folgender Besetzung: Violine: Emilio Percan, Marika Apros-Klos, Petar Mancev, Martin Ehrhardt, Andreas Hempel, Valentina Resnyanska, Berit Brüntjen, Yukie Yamaguchi, Katja Grüttner Viola: Antje Sabinski, Claudia Steeb Violoncello: Leonhard Bartussek, Elisabeth Wand Kontrabass: Miriam Shalinsky Cembalo: Luca Quintavalle Flöte: Verena Fischer Oboe: Pier Luigi, Saskia Fikentscher Klarinette: Marie Ross, Jean-Philippe Poncin Fagott: Burak Özdemir, Marita Schaar-Faust Horn: Christian Binde, Oliver Kersken