Saison 2012/2013: Konzert 8

Sonntag, 2. Juni 2013 17 Uhr WDR-Funkhaus

Schubertiade

Klaviertrios B-Dur, D 898 und Es-Dur, D 929 Andreas Staier · Daniel Sepec · Roel Dieltiens Andreas Staier Sendung auf WDR 3 am 13. Juni 2013

Wenn drei Stars der historischen Aufführungspraxis diese beiden Klaviertrios von Franz Schubert spielen, bringen Andreas Staier, Daniel Sepec und Roel Dieltiens Marksteine der Klaviertrio-Literatur zum Glitzern. Neben der außergewöhnlichen Ensemble­qualität der Interpreten verspricht auch die Wahl der historischen Instrumente neue Einblicke in die kammermusikalische Welt des Komponisten, der mit seinen Händen auf dem Piano formulierte, was er in Sprache nicht fassen konnte.

Programmfolge

Franz Schubert (1797 – 1828) Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello B-Dur, op. 99 / D 898 Allegro moderato Andante un poco mosso Scherzo: Allegro Rondo: Allegro Vivace Pause Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello Es-Dur, op. 100 / D 929 Allegro Andante con moto Scherzando: Allegro moderato Allegro moderato

Den Kennern gewidmet

Die etablierte Bezeichnung »Kammermusik« für geringstimmige Kompositionen mit mehr als einem Instrument weist heute noch auf Ursprünge im privaten höfischen Ambiente hin. Doch spielte die Bindung solcher Musik an den Adel teilweise schon vor den gesellschaftlichen Umwälzungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine nur noch untergeordnete Rolle. Immer deutlicher gab das Bürgertum musikalisch den Ton an – nicht mehr nur, weil es die Mehrheit der ausübenden Künstler stellte, sondern auch, weil sich aus seinen Reihen die Adressaten der Kompositionen rekrutierten: Veranstalter von Konzerten und musikalischen Soireen im teils öffentlichen, teils privaten Rahmen; Virtuosen, »Kenner und Liebhaber«.

Für eine musikalische Abendunterhaltung – egal, ob sie nun in einem adeligen oder bürgerlichen Salon stattfinden sollte – eigneten sich Klaviertrios in besonderer Weise, als Renommier- und Bravourstücke, aber auch als Ort des ästhetischen Diskurses. Im Zentrum der Salons stand das »Clavier«. Vom akkordischen Begleitinstrument im Generalbass hatte es sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zum individuell agierenden Kammermusikpartner entwickelt, dem eine profilierte, ja sogar die profilierteste Partie zustand: es war Solo- und Begleitinstrument in einem, mitunter auch Orchester im Kleinen. Das Klaviertrio war aus jenen »Klaviersonaten in Begleitung einer Violine« hervorgegangen, denen man das Violoncello als Verstärkung des Klavierbasses hinzufügte – vor allem die frühen Hammerflügel boten nämlich noch wenig Klangvolumen in den tieferen Tonregionen.

Ludwig van Beethoven hatte die Gattung des Klaviertrios aber schon kurz nach der Ankunft in Wien 1793 mit seinem bedeutungsreichen Opus 1 entschieden aus der Genre-Ecke divertimentohafter Unterhaltungsmusik für »Klavier mit Begleitung« hinausbefördert. Obwohl das Tasteninstrument durch seine vielstimmige Virtuosität auch in Beethovens Klaviertrios immer wieder die besondere Aufmerksamkeit des Hörers beansprucht, behandelte er doch alle drei Instrumente eigenständig, löste nicht zuletzt das Violoncello aus der langen Substanz- und Zweckgemeinschaft mit dem Klavierbass. Und damit gab er die neue Richtung vor.

Franz Schubert steht noch in der klassischen Tradition, wenn er in den beiden Kompositionen, die heute Abend auf dem Programm stehen, entgegen moderner Terminologie das Pianoforte in der Aufzählung der Besetzung zuerst nennt. Und doch orientiert er sich in der Behandlung der drei Instrumente ganz an seinem kompositorischen Leitstern Beethoven: So künstlerisch kompromisslos, wie die Wiener den aus Bonn zugereisten Meister in den gut 30 Jahren bis zu seinem Tod am 26. März 1827 erlebten, so musikalisch eigenständig entwickelte sich auch der 27 Jahre jüngere Wiener Lehrerssohn Schubert. Als Sängerknabe hatte er die klassische Musikerausbildung durchlaufen, die seine Heimatstadt bot. Im bedrückenden autoritären Klima der Metternich-Ära blieb er aber ein gesellschaftlicher Außenseiter, der sich lieber in Dissidentenkreisen bewegte – ein freischaffender Künstler eher aus Not als aus Überzeugung, der seit spätestens 1823 wohl von der seinerzeit unheilbaren Syphillis gezeichnet war.

Das breite Publikum schätzte schon zu Schuberts Lebzeiten seine Lieder, die man gegebenenfalls mit der nötigen Portion Oberflächlichkeit in der Beschaulichkeit biedermeierlicher Musikzimmer heimisch werden ließ. Dem Gros seiner Instrumentalwerke gegenüber zeigte man sich aber nicht nur spieltechnisch, sonder auch intellektuell überfordert. Kaum anders als Beethoven reagierte Schubert darauf mit einem Achselzucken: »Ich kann nicht anders schreiben, und wer meine Kompositionen nicht spielen kann, soll es bleiben lassen.«

Die Kammermusik seiner Reifejahre ab 1824 – von einem »Spätstil« darf man bei einem mit 32 Jahren Verstorbenen wohl kaum sprechen – ist Schuberts kompositorisches Experimentierfeld. Sie sollte ihm »den Weg zur großen Sinfonie bahnen«. Auch heutige Hörer mögen noch erstaunt sein über die Komplexität, das Mit- und Übereinander der Themen, über die mitunter nur am Rhythmus wiedererkennbaren, aber doch einen Satz oder gar einen Satzzyklus strukturell prägenden Motive, über die kühn modulierende Harmonik und nicht zuletzt über die Ausdehnung dieser Werke (ein Phänomen, für das Robert Schumann später im Hinblick auf die wiederentdeckte C-Dur-Sinfonie Schuberts den Begriff von der »himmlischen Länge« prägte).

Viele dieser Werke konnten Schuberts Zeitgenossen gar nicht kennenlernen; kaum einmal wurden sie öffentlich gespielt und nur in seltenen Fällen gedruckt. Als einziges öffentliches Konzert mit seinen Werken, das zu Schuberts Lebzeiten stattfand, gilt jenes »Privat-Concert«, das er auf Anregung und durch die Unterstützung von Freunden am 26. März 1828 im Saal des Österreichischen Musikvereins veranstalten konnte – nicht zufällig hatte man es auf das Datum gelegt, an dem sich Beethovens Todestag zum ersten Mal jährte. Im Programm dieses Konzerts findet sich neben Liedern, mehrstimmigen Vokalwerken wie dem »Ständchen« und dem »Schlachtgesang« sowie einem einleitenden Quartettsatz ein »Neues Trio für das Piano-Forte, Violin und Violoncello« an zentraler Stelle. Es war nach Länge und Anspruch das eigentliche Werk des Abends und wurde nach Ausweis des erhaltenen Einladungszettels von Carl Maria von Bocklet als Pianisten, Joseph Böhm als Geiger und Josef Lincke als Cellisten gespielt. Ganz »neu« war dieses Trio in Es-Dur aber nicht, denn gemeinsam mit Bocklet und Linke hatte es im Dezember 1827 bereits der Beethoven- und Schubert-Enthusiast Ignaz Schuppanzigh vor dem Komponisten aufgeführt. Dieses Werk ist eines von nur zwei vollständigen Klaviertrios Schuberts; das andere, in B-Dur, dürfte wohl kurz zuvor für denselben Musikerkreis entstanden sein. Beide Werke entstammen damit der Zeit, in der Schubert auch die »Winterreise« vertonte. Darüber hinaus hat sich an Kompositionen Schuberts für Klaviertrio noch ein Adagio-Satz in Es-Dur aus derselben Periode erhalten sowie ein Allegro in B-Dur, das er etwa 15 Jahre früher geschrieben haben dürfte.

Die durchaus auf Gegensätzen beruhende innere Zusammengehörigkeit von B-Dur- und Es-Dur-Trio, die sie auch zum idealen Werk-Paar für das heutige Konzert macht, empfand schon Robert Schumann, der das erstgenannte Werk als »leidend, weiblich, lyrisch«, das letztere hingegen als »mehr handelnd, männlich, dramatisch« beschrieb. Wir mögen uns heute lieber auf die gegensätzlichen Attribute »lyrisch« und »dramatisch« konzentrieren:

Der Lyrismus des B-Dur-Trios äußert sich in den melodisch geprägten Hauptthemen des ersten Satzes, die nicht mehr auf die Stimmen verteilt, sondern konsequent in einer Klangfarbe durchgeformt werden. Dazu entwickelt Schubert rhythmisch prägnante, manchmal aber auch geradezu aggressive Gegenstimmen, mit denen der Satz immer wieder in unerwartete Tonarten und zu expressiven Ausbrüchen moduliert. Verinnerlicht, zwischen Abgeklärtheit und Resignation changierend kommt der von Mollklängen dominierte langsame zweite Satz daher. Das Scherzo strotzt vor Spielfreude, die mit rhetorischen Finessen parliert. Für den abschließenden vierten Satz kündigt Schubert die traditionelle Rondo-Form an; in Wirklichkeit wird das Hauptthema aber nicht dauernd, sondern nur einmal wortgetreu wieder aufgegriffen. Ebenso spielt Schubert in der Harmonik mit den Erwartungen seiner Zuhörer, wenn er mehrmals unvermittelt die Tonart wechselt. Und doch gelingt es ihm, einen in sich geschlossenen Satz zu formen, der das Trio effektvoll abrundet.

Dramatisches Potenzial verrät hingegen schon der kraftvolle Unisono-Beginn des spannungsreichen Es-Dur-Trios. Wechsel in Moll-Tonarten, Tonkaskaden im Klavier, nervöse Streichertremoli und ein stark rhythmisch akzentuiertes erstes Seitenthema unterstreichen diesen Impetus. Nur in einigen Phasen weicht er der lyrischeren Grundstimmung, von der ein weiteres Seitenthema getragen ist. Den zweiten Satz in der Moll-Parallele der Grundtonart bestimmt eine melancholische Kantilene, die wohl auf ein schwedisches Volkslied zurückgeht. Entsprechend kontrastreich tritt der tragischen und letzten Endes resignativen Stimmung dieses Satzes das tändelnde Scherzo entgegen, in dem Schubert mit Kanonbildungen zwischen Klavier und Streichern spielt. Das ungewöhnlich lange Final-Rondo, in dem zunächst zwei in Tonart, Melodik und Metrum stark kontrastierende Themen gegeneinanderstellt werden, wartet gegen Ende mit einem Zitat aus dem langsamen Satz auf. Diese Idee Schuberts, durch einen thematischen Rückgriff die formale Verbundenheit der Einzelsätze zu betonen, haben nachfolgende Komponisten-Generationen gerne aufgegriffen. Den tragischen Zug, den das wiederauftauchende Liedthema in den Finalsatz trägt, fegt aber endgültig der kraftvoll gesetzte Dur-Schluss hinweg.

Das Es-Dur-Klaviertrio ist nicht nur das einzige Schuberts, das zu seinem Lebzeiten in einem öffentlichen Konzert erklang – es wurde auch 1828 noch vom Leipziger Verlag Probst im Druck veröffentlicht. Dem Verleger empfahl der Komponist erst einmal ein Probespiel und gab dabei einen ihm wichtigen interpretatorischen Hinweis zum Finale: »Lassen Sie es ja von tüchtigen Leuten das erstemal producieren, und sehen Sie besonders im letzten Stück bei Veränderung des Taktes auf fortwährend gleichmäßiges Tempo.«

Von Probst nach Opusnummer und Widmungsträger gefragt, schickte der Komponist die folgende selbstbewusste Antwort nach Leipzig: »Das Opus des Trio ist 100. Ich ersuche, dass die Auflage fehlerlos ist, und sehe derselben mit Sehnsucht entgegen. Dedicirt wird dieses Werk Niemanden ausser jenen, die Gefallen daran finden. Das die einträglichste Dedication. Mit aller Achtung Frz. Schubert«.

Als dann Ende Dezember die Belegexemplare des Drucks in Wien eintrafen, war der Komponist bereits gestorben.

behe

Mitwirkende

Andreas Staier – Pianoforte
Andreas Staier spielt im heutigen Konzert einen Hammerflügel nach Conrad Graf, Wien 1827, gebaut 1996 von Christopher Clarke (Donzy-le-National/Frankreich).

Daniel Sepec – Violine
Im heutigen Konzert spielt Daniel Sepec eine Violine von Laurentius Storioni, gebaut 1780 in Cremona.

Roel Dieltiens – Violoncello
Bei dem Violoncello, das Roel Dieltiens im heutigen Programm spielt, handelt es sich um ein klassisches Instrument, das Marten Cornelissen (Northampton/USA) 1992 gebaut hat.