Saison 2013/2014: Konzert 7
Schubertiade
Lieder und Kammermusik von Franz Schubert Julian Prégardien – Tenor Marc Hantaï · Philippe Pierlot · Xavier Díaz-Latorre Sendung auf WDR 3 am 9. April 2014
Julian Prégardien hat sich in den letzten Jahren nicht nur als Bach-Interpret profiliert, sondern auch als origineller Sänger des romantischen Liedrepertoires, dem er immer wieder unerhörte
Seiten abgewinnt. So auch in Köln: Hier gastiert der Tenor mal nicht mit einem Klavierpartner, sondern mit Marc Hantaï, Xavier Díaz-Latorre und Philippe Pierlot als instrumentalen Mitstreitern, die ihn in frühen Liedern Franz Schuberts auf Flöte, Gitarre und dem seinerzeit beliebten Baryton als tiefem Streichinstrument begleiten. Auch steuern sie instrumentale Fassungen von Schubert-Liedern in zeitgenössischen Bearbeitungen bei.
Programmfolge
Schubertiade
Zseliz, Esterházy-Schloss, 3. August 1818
Liebste, teuerste Freunde! Wie könnte ich Euch vergessen, Euch, die Ihr mir alles seid! Spaun, Schober, Mayrhofer, Senn, wie geht es Euch, lebt Ihr wohl? - Ich befinde mich recht wohl. Ich lebe und komponiere wie ein Gott, als wenn es so sein müsste.
Mayrhofers »Einsamkeit“ ist fertig und, wie ich glaube, so ist’s mein Bestes, was ich gemacht habe; denn ich war ja ohne Sorge. - Ich hoffe, dass Ihr alle recht gesund und froh seid, wie ich es bin. Jetzt lebe ich einmal, Gott sei Dank; es war Zeit, sonst wäre noch ein verdorbner Musikant auf mir geworden.
Schober melde meine Verehrung bei Herrn Vogl. Ich werde nächstens so frei sein, auch ihm zu schreiben. - Wenn es sein kann, so bringe ihm bei, ob er nicht die Güte haben wollte, bei dem Kunzischen Konzerte im November ein Lied von mir zu singen. Welches er will …. Schreibt mir ja recht bald, jeder Buchstabe von Euch ist mir teuer!
Franz Schubert
Wien, 15. Dezember 1826
Ich gehe zu Spaun, wo eine große, große Schubertiade ist. Die Gesellschaft ist ungeheuer. Das Arnethische, Witteczekische, Kurzrockische, Pompische Ehepaar, die Mutter der Frau des Hof- und Staatskanzleikonzipisten Witteczek, die Doktorin Watteroth, Betty Wanderer, der Maler Kuppelwieser und seine Frau, Grillparzer, Schober, Schwind, Mayrhofer und sein Hausherr Huber, der lange Huber, Derffel, Bauernfeld, Gahy (der herrlich mit Schubert à 4 mains spielte), Vogl, der fast 30 herrliche Lieder sang, Baron Schlechta und andere Hofkonzipisten und -sekretärs waren da. Fast zu Tränen rührte mich, da ich heute in einer besonders aufgeregten Stimmung war, das Trio des 5. Marsches, das mich immer an meine liebe gute Mutter erinnert. Nachdem das Musizieren aus ist, wird herrlich schnabeliert und dann getanzt.
Franz von Hartmann
Wien, um 1830
Ein spanischer Kaufmann und begabter Gitarrist, ein vor der belgischen Revolution geflohener Adeliger und passionierter Cellist, seit seiner Ankunft in Wien dem kuriosen Baryton verfallen, sowie ein aus Paris stammender Flötist schließen sich zusammen und musizieren im Salon erstmals Lieder von Franz Schubert, gemeinsam mit einem Sänger vom Kärntnertortheater, den sie für kleines Geld engagiert haben. Hofmusikalienhändler Anton Diabelli hat ihnen einen Stapel Altes und Neues verkauft, darunter neben Liedern Schuberts auch einige Walzertranskriptionen. Sie finden Gefallen an den Liedern und beschließen, in Kürze einen größeren Kreis zu einem geselligen Abend einzuladen. Die Lieder, dazwischen ein paar der Walzer zur Erheiterung, einige treffende Gedichte (vielleicht könnte man diesen Johann Mayrhofer gewinnen, welche beizusteuern!), ein Trio von Wenzel Matiegka (ganz Wien denkt, es handle sich um eine Komposition Schuberts, nur weil er es vor zwanzig Jahren zum Quartett umgeschrieben hat ...), eine neue Elegie eines gewissen J. C. Mertz, Gitarrist aus Pressburg, die ein Freund in Abschrift mitgebracht hat, ein Menuett zum Schluss. Ein unerhörter Abend!
So etwa könnte der Ideenansatz zu unserer Schubertiade für Flöte, Gitarre, Baryton und Gesang lauten. Das beschriebene Zusammentreffen ist historisch keineswegs verbürgt, aber das Gedankenspiel sei erlaubt. Die Musiker könnten in historischer Wirklichkeit die folgenden gewesen sein, denn alle standen sie mit Schubert in Verbindung und haben den jung Verstorbenen überlebt:
– Gitarre: Wenzel Matiegka aus Böhmen, seit 1800 als Gitarrenlehrer in Wien;
– Baryton: Vinzenz Hauschka, einer der Gründer und Leiter der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, Cellist und Komponist einiger Baryton-Werke;
– Flöte: Ignaz Rosner, Flötist und Freund der Familie Schubert;
– Gesang: Johann Michael Vogl, Freund Franz Schuberts und einer der ersten Sänger seiner Lieder;
– Gedichte: Johann Mayrhofer, enger Freund Franz Schuberts, im Hauptberuf Zensor des Metternich-Regimes;
– Noten: Anton Diabelli, Komponist von Gitarrenliedern (u. a.) und Verleger Schuberts.
Das Resultat der Überlegung ist für den heutigen Zuhörer ein Konzertabend, der ein neues Licht bzw. eine »unerhörte« Klangfarblichkeit auf Franz Schuberts Schaffen und die Musik seiner Zeit werfen soll. Und der aufzeigen möchte, dass Transkriptionen historisch verbürgt sind, und zwar nicht bloß in der Form, wie zum Beispiel Franz Liszt sie vornahm, nämlich als virtuose Ausweitung einer schlichten Komposition.
Der Baryton ist eher als Instrument des 18. Jahrhunderts verbürgt denn in der Frühromantik und eher auf Schloss Esterházy denn in Wien. Doch der Hinweis auf Vinzenz Hauschka, der dieses Instrument eben auch spielte und mit Schubert zumindest in geschäftlichem Kontakt stand, soll andeuten, dass Schubert dieses besondere Instrument zumindest gekannt haben könnte. Zudem hat er mit einer Sonate für den Arpeggione (ein Instrument zwischen Gitarre und Violoncello) einem weiteren Kuriosum der Musikgeschichte ein Denkmal gesetzt.
Zu den einzelnen Liedgruppen und Instrumentalstücken sei angemerkt:
Zwischen 1821 und 1828 wurden in Wien 26 Lieder von Schubert mit Gitarrenbegleitung gedruckt. Die Gitarre war als Modeinstrument des Biedermeier ein wichtiger Teil der bürgerlichen Kultur. Der Wanderer und das Morgenlied aus dem Opus 4 wurden in der Gitarrenversion veröffentlicht, bevor die Klavierfassung gedruckt wurde. Das Opus 3 nach Gedichten Johann Wolfgang von Goethes war Bestandteil des Liederheftes, das Schuberts Freund Josef von Spaun 1816 dem Dichterfürsten zueignete, um dessen Gunst für den jungen Komponisten zu gewinnen.
Das Notturno op. 21 von Wenzel Matiegka galt im Wien der 1830er Jahre sicherlich noch nicht als Komposition Schuberts, wie oben gemutmaßt. Aber es ist eine Tatsache, dass man es später als Gitarrenquartett D 96 in seinen Werkkatalog eingereiht hat. Schubert arrangierte das Trio im Jahr 1814 aus privatem Anlass zum Quartett um. Die Flöte spielte da der oben erwähnte Ignaz Rosner.
In der zweiten Konzerthälfte kommt mit der Elegie eine Komposition des Gitarrenvirtuosen Johann Caspar Mertz zu Gehör. Mertz transkribierte in den 1840er Jahren Schubert-Lieder, zuerst für den solistischen Vortrag auf der Gitarre, angelehnt an die Klavierbearbeitungen Franz Liszts, später aber überarbeitet für den Vortag von Singstimme und Gitarre. Diese späteren Bearbeitungen erschienen bei Tobias Haslinger, der den Liebhabern des Schubert-Liedes als Verleger der Winterreise und des Schwanengesangs gut bekannt ist.
Die Lieder des zweiten Teils enthalten mit Nachtviolen und Sehnsucht zwei Vertonungen von Texten des Schubert-Freundes Johann Mayrhofer und damit eine Hommage an die so besondere Verbinung der beiden Künstler, die von 1818 bis 1821 Stube und Leben teilten. Schubert vertonte 47 Gedichte des Freundes. Über Mayrhofer schreibt der gemeinsame Freund Josef von Spaun in seinen Familien-Erinnerungen: »Er lernte Gitarre spielen, um seinen Gesang, der übrigens wenig schön war, zu begleiten.«