Saison 2017/2018: Konzert 7
Eszterháza – Godesberg – Leipzig
Streichquartette von Haydn, Ries und Mendelssohn Bartholdy Schuppanzigh Quartett Sendung auf WDR 3 am 12.05.2018 ab 20.04 UhrVon den letzten Jahren Joseph Haydns als Kapellmeister am burgenländischen Esterházy-Hof bis zur glanzvollen Zeit des Leipziger Gewandhaus-Kapellmeisters Felix Mendelssohn Bartholdy schlägt das Schuppanzigh Quartett diesmal den Repertoire-Bogen. Dabei stellt es einmal nicht Ludwig van Beethoven als Bindeglied zwischen Klassik und Romantik vor, sondern dessen ebenfalls aus Bonn stammenden Schüler Ferdinand Ries, der Haydn ebenso kennenlernte wie Mendelssohn – und mit beiden die Begeisterung für Europas Musikmetropole London teilte.
Programmfolge
Quartett G-dur op. 54,1 (Eszterháza 1788)
Ferdinand Ries (1784-1838)
Quartett a-Moll op. 150,1 (Godesberg 1825/1826)
Pause
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847)
Quartett D-dur op. 44,1 (Leipzig 1838)
Kammerkonzerte
Wer kennt nicht Haydn als einen der größten jetzt lebenden Tonsetzer! Auch in den vor uns liegenden Quartetten muß man die originelle Laune, den musikalischen Witz und den unerschöpflichen Reichthum der Gedanken des Verf. bewundern
, konstatierte der Hallenser Universitäts-Musikdirektor Daniel Gottlob Türk 1792 zu Beginn seiner Rezension der drei Quartette op. 54 von Joseph Haydn in der Allgemeinen deutschen Bibliothek. Etwa vier Jahrzehnte war es da her, dass Haydn seine ersten Kompositionen für vier Streichinstrumente geschrieben hatte, etwa ein Jahrzehnt, dass er als Kapellmeister in der Abgeschiedenheit des burgenländischen Esterházy-Hofes mit den Quartetten op. 33 Werke in einem neuen, klassisch-ausgewogenen Niveau vorgelegt hatte: mit einem schneller Eröffnungssatz im Sonatenhauptsatz
-Prinzip der thematischen Arbeit mit zwei unterschiedlichen, aber miteinander kombinierbaren Themen; mit einem lyrischen und einem tänzerischen Binnensatz – letzterer als Relikt alter Divertimento-Traditionen in Menuett-Form samt Trio-Episode; mit einem spielerisch-virtuosen Finalsatz nach wechselnden kompositorischen Gestaltungsmöglichkeiten.
Wie sich dieses Paradigma in den folgenden fünf Jahrzehnten weiterentwickelte, das lässt sich im heutigen Programm exemplarisch nachverfolgen. Und das an drei Werken, in denen das Ideal einer Gleichberechtigung aller Stimmen, ihre möglichst paritätische Beteiligung an der thematischen Arbeit, immer wieder in Konflikt zu geraten scheint mit dem Wunsch, dem hochqualifizierten Primarius des Ensembles eine Partie mit besonderem virtuosen Glanz anzubieten.
Ein Wesenszug von Haydns Opus 54 irritierte den Rezensenten Türk: Schade, daß der Verf. – wie dies jetzt gewöhnlich ist – fast alle Hauptgedanken oder concertirende Stellen der ersten Violine gegeben, und die übrigen Instrumente größtentheils nur zur Begleitung gebraucht hat. Einem Haydn müßte es doch wohl wenig Mühe verursachen, wirkliche Quartette zu schreiben.
Haydn hatte diese Quartette in der zweiten Jahreshälfte 1788 komponiert und einem ehemaligen Geiger seines Hoforchesters übergeben: Johann Tost, der sich im März aus Eszterháza verabschiedet hatte, um als Geschäftsmann sein Glück zu machen. Im Zuge einer Reise hatte Tost Publikationsverträge mit den Verlagshäusern Artaria in Wien, André in Offenbach, Sieber in Paris und schließlich Longman in London abgeschlossen. Das eine oder andere Werk mag Tost dabei auch als verkaufsfördernde Maßnahme im Zusammenwirken mit lokalen Quartettpartnern öffentlich vorgestellt haben.
Haydn zeigt sich in diesen Kompositionen als souveräner Neugestalter des selbst etablierten Quartettstandards. So eröffnet das Quartett G-Dur op. 54,1 in bewährter Form schwungvoll mit energisch nach vorne drängenden Trommelbässen, wartet aber bald mit chromatischen Linien und dissonanten Akkorden auf, die man als Anklänge an den jüngeren Kollegen Wolfgang Amadeus Mozart hören kann; kontrapunktische Imitationen zwischen den Stimmen würzen die Durchführung. Der lyrische zweite Satz bietet wohldosiert einzelne überraschende Melodiewendungen und harmonische Rückungen. Im Trio des gemütvoll ländlerhaften Menuetts erheischt das Violoncello mit markanten Bassfiguren Aufmerksamkeit. Der Schlusssatz wird der traditionellen Rondoform untreu und ergeht sich episodenhaft in immer neuen espritvollen Varianten und Abschweifungen – ganz so, als hätte Haydn beim Komponieren das turbulente Finale einer Buffo-Oper vor Augen gestanden.
Zwei Jahre später reiste Haydn nach London; den Aufenthalt hatte der Geiger und Konzertunternehmer Johann Peter Salomon vermittelt. Der Reiseweg führte im Dezember 1790 über die kurkölnische Residenzstadt Bonn, eine ehemalige Wirkungsstätte Salomons. Hier genoss Haydn die Gesellschaft des höfischen Musikdirektors Franz Anton Ries, und er lernte den 20-jährigen zweiten Hoforganisten Ludwig van Beethoven kennen, der dann 1793 nach Wien übersiedelte, um Unterricht von Haydn zu erhalten. Ein gutes Jahrzehnt später finden wir Ferdinand Ries, den ältesten Sohn des Bonner Musikdirektors, als Klavierschüler und engen Vertrauten Beethovens in Wien. Nach einer ausgedehnten Europareise, die Ries bis nach Russland führte, vermittelte ihm 1813 Salomon das Entree in die Musikwelt Londons, wo er elf Jahre lang einer erfolgreichen Karriere als Klaviervirtuose und Komponist nachging. Dann zog es ihn mitsamt seiner Familie in die alte Heimat: Von Sommer 1824 bis April 1827 lebte Ries im Godesberger Haus seiner Kindheit, von wo aus er sich wiederholt als Leiter der Niederrheinischen Musikfeste betätigte und auch kompositorisch stärker dem Chorrepertoire zuwandte. Schließlich wählte sich Ries aber doch das großstädtische Frankfurt als Lebensmittelpunkt, wo er für wenige Monate – bis zu seinem plötzlichen Tod im Januar 1838 – auch den Chor des Cäcilien-Vereins leitete.
In Godesberg sind zwei der drei Quartette entstanden, die Ries 1828 im Bonner Verlag Simrock unter der Opus-Zahl 150 veröffentlicht und dem General Job von Witzleben gewidmet hat. Der war als das wohl kunstsinnigste Mitglied der militärischen Führungselite Preußens bekannt – schade, dass Sie Soldat sind; als Musiker würden Sie eine größere Rolle spielen
, soll Gioacchino Rossini ihm gegenüber 1814 in Paris geäußert haben. Falls Ries beim Komponieren den General als Primarius vor Augen hatte, stellt er ihm mit dem Quartett a-Moll op. 150,1 ein glänzendes Zeugnis als Geiger aus: Der Eingangssatz verlangt da einerseits stupende Technik, andererseits große gestalterische Flexibilität, was sich schon in den mehrfachen Tempowechseln andeutet. Den ungestümen Gestus greift das Scherzo mit seinen reizvollen rhythmischen Gegenbewegungen auf, und ebenso changiert das Finale virtuos zwischen den Tempi und Tongeschlechtern. Einen atmosphärischen Ruhepol bietet eigentlich nur der zweite Satz. In dieser veritablen Romanze kann man nach dem satztechnisch souveränen und formal experimentierfreudigen Beethoven-Schüler noch den opernaffinen Arienkomponisten Ries kennenlernen – wenn auch ohne Worte.
Die Karriere von Felix Mendelssohn Bartholdy, der als Sohn einer wohlhabenden Bankiersfamilie im musischen Umfeld der Berliner Sing-Akademie groß wurde, weist einige Parallelen zu der des 25 Jahre älteren Ries auf. Auch Mendelssohn kam als erfolgreicher Tastenvirtuose, Komponist und Dirigent durch ganz Europa. Auch er verbrachte einige Zeit im Rheinland – als Generalmusikdirektor in Düsseldorf (1833-35) und mehr oder weniger im Wechsel mit Ries als Leiter einiger Jahrgänge des Niederheinischen Musikfestes – sowie in Frankfurt, wo er gelegentlich den Cäcilien-Verein dirigierte und 1836 seine zukünftige Frau Cécile kennenlernte. Das Zentrum seines Wirkens war aber Leipzig. Hier amtierte er seit 1835 als Gewandhauskapellmeister, hier gründete er 1843 das erste deutsche Musikkonservatorium. Musikalische Bildungsarbeit leistete er aber zuvor schon im Gewandhaus über die Spielplangestaltung. So konnten die Zuhörer zwischen dem 15. Februar und dem 8. März 1838 in vier Historischen Konzerten die künstlerischen Konstanten und Entwicklungen in einem Repertoire von Bach und Händel über Haydn und Beethoven bis zu Carl Maria von Weber und Mendelssohn selbst verfolgen.
Die intensive Auseinandersetzung mit der älteren Musik, die Mendelssohn damals dirigierte, blieb nicht ohne Einfluss auf sein kompositorisches Schaffen. Das Quartett D-Dur op. 44,1 ist das letzte in einem dreiteiligen Werkzyklus, mit dessen Komposition Mendelssohn 1837 während seiner Hochzeitsreise begonnen hatte. Die Druckausgabe des Verlagshauses Breitkopf & Härtel widmete er dem musikliebenden schwedischen Kronprinzen Oskar. Der eigentliche Adressat war aber der Geiger Ferdinand David, ein Jugendfreund, den Mendelssohn 1836 als Konzertmeister nach Leipzig geholt hatte. Ich habe mein drittes Quartett in d dur fertig und habe es sehr lieb
, schrieb er an David im Juli 1838 kurz nach Vollendung dieses dann an erster Stelle im Druck vorgestellten Stücks. Wenn es Dir nur auch so gut gefällt! Doch glaube ich es fast, denn es ist feuriger und auch für die Spieler dankbarer als die andern, wie mir scheint.
Die Doppelgriffe von zweiter Violine und Bratsche in der brillanten Eröffnung streben danach, der soloartigen Partie des Primarius den Klanghintergrund eines ganzen Orchesters zu verleihen. Einen Anachronismus stellt das Menuetto dar – Mendelssohn spielt gegenüber seinem Verlag mit dem Begriff Rococogeschmack
darauf an. In seinen Trioabschnitten bietet dieser originelle Satz noch einmal exponierte Passagen für die Oberstimme, die dann im melancholischen Andante expressivo ihre kantablen Qualitäten unter Beweis stellen kann. Dazu liefert wie zum Ausgleich vornehmlich die zweite Violine reizvoll bewegte Impulse. Con brio, mit einem rasant anhebenden Finale, rundet Mendelssohn dieses ausgesprochene Konzertstück ab.
Am 16. Februar 1839 erlebte es im Rahmen der Gewandhauskonzerte seine Uraufführung, mit David an der ersten Violine und drei weiteren Mitgliedern des Gewandhausorchesters. Mendelssohn, der sich zuvor als Violennothnagel
an der Bratsche angeboten hatte, genoss das Darbietung dann doch als Zuhörer.